SE | Systemergonomie

Die Abteilung »Systemergonomie« (SE) beschäftigt sich mit der Gewährleistung zuverlässigen Verhaltens in soziotechnischen Systemen, in denen Menschen, Technik und Prozesse kooperativ interagieren. Dies ist besonders wichtig für sicherheitskritische Aufgaben in militärischen und zivilen Anwendungen.

Die zuverlässige Durchführung komplexer Aufgaben ist oft herausfordernd. Die Abteilung entwickelt deshalb Methoden des Advanced Systems Engineering und der Ergonomie, um in interdisziplinärer Zusammenarbeit die Interaktion zwischen Nutzern und Systemen zu verbessern. Ziel ist die iterative Durcharbeitung aller Entwicklungsphasen, vom Bedarf bis zum überprüfbaren Demonstrator.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit steigern die Reifegrade der Systemtechnologie und fließen als neutrale Grundlage in wichtige Entwicklungsentscheidungen ein. Durch enge Abstimmung mit Kunden und relevanten Stakeholdern wird sichergestellt, dass die entwickelten Lösungen den praktischen Anforderungen gerecht werden.

Die Forschungsgruppen der Systemergonomie »Kooperative Bewegungs- und Systemführung« (KBS) und »Ergonomie im Advanced Systems Engineering« (EASE) befassen sich unter anderem mit diesen Forschungsschwerpunkten:

Kooperative Systemführung und Crewed-Uncrewed Teaming

Die Führung mobiler Systeme (z. B. Fahrzeug, Luftfahrzeug, Schienenfahrzeug, Unterwasserfahrzeug, unbemannte Boden- und Luftsysteme) unterliegt kontinuierlichen technischen Entwicklungen. Durch Automatisierung und künstliche Intelligenz werden immer mehr Führungsaufgaben an sogenannte Assistenzsysteme und technische Komponenten übergeben. Die eingesparte Zeit kann der Mensch für die zusätzliche Erledigung von Nebenaufgaben oder die gleichzeitige Führung mehrerer Systeme und Systemverbünde, insbesondere im Rahmen von Multi Domain Operations (MDO), nutzen. Ein Schwerpunkt der Forschung ist die systemergonomische Gestaltung von Interaktion und Kooperation aller Komponenten im soziotechnischen System, um ein zuverlässiges Systemverhalten zu erwirken.

Ergonomische Gestaltung von sicherheitskritischen Systemen sowie Arbeitsplätzen und Produkten

Die Forschung konzentriert sich auf die ergonomische Gestaltung in sicherheitskritischen Systemen, Arbeitsplätzen und Produkten. Begleitet wird der gesamte Prozess von der Bedarfsermittlung bis zu Demonstratoren, Prüfungen und Inbetriebnahmen werden unterstützt. Ergonomische Gestaltung verbindet Wissen über menschliche Arbeit mit Zielen wie Effizienz, Kontrollierbarkeit, Überlebensfähigkeit, Produktivität, regulatorische Vorschriften und Zuverlässigkeit. Das gilt für verschiedene Bereiche, wie Arbeitsplätze in Kampfräumen gepanzerter Fahrzeuge, Kontrollstationen oder in der Produktion. Für den Erfolg sind die richtige Auswahl und Anwendung von ergonomischen Methoden sowie ein offener Gestaltungsraum entscheidend, der technische, organisatorische und persönliche Aspekte berücksichtigt.

Immersion in interaktiven Systemen durch Tangible XR und haptische Interaktion

Eine realistische Abbildung von Sinneseindrücken in interaktiven Systemen ist wichtig für die Immersion und Authentizität von Informationen und Umgebungen. Das gilt für den praktischen Einsatz wie beispielsweise bei der Fernsteuerung von Robotern oder dem Training kritischer Situationen in XR. Ein weiterer Anwendungsbereich sind flexible Entwicklungsumgebungen, in denen Gestaltungsmöglichkeiten exploriert werden.

Die Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung flexibler Darbietungsformen für haptische Empfindungen in Technologien wie VR, AR und MR oder sonstiger Mensch-Maschine-Schnittstellen. Beispiele sind die Herstellung grobtaktiler Empfindungen für räumliche Grenzen im Rapid Prototyping Hub und von Bewegungsempfindungen über die Motion Plattform. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung einer Haptikkomponente, die Gewichte und Kräfte ohne physische Objekte spürbar macht. So können Nutzer beispielsweise das Anheben einer virtuellen 10 kg schweren Kiste erleben, ohne eine echte Kiste halten zu müssen.

Intuitive und sichere Interaktionsgestaltung moderner Arbeitsplätze für teleoperierte Systeme

Teleoperierte Systeme ermöglichen eine sichere und effektive Interaktion zwischen Bedienern und Maschinen, um Personal effizient einzusetzen und komplexe Aufgaben in gefährlichen oder schwer zugänglichen Umgebungen zu meistern. Sie können in verschiedenen Domänen eingesetzt werden, wie zum Beispiel bei unbemannten LKW-Konvois oder unbemannten Luftsystemen.

Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt der Systemergonomie ist die Entwicklung benutzerfreundlicher Schnittstellen, die eine intuitive Steuerung ermöglichen. Ziel ist es, das Situationsbewusstsein der Bedienenden zu fördern und deren kognitive Belastung zu reduzieren. Dazu gehören ergonomische Bedienelemente und die Nutzung von Technologien wie AR oder VR, um komplexe Informationen klar und verständlich darzustellen.

Entwicklung physiologischer Messsysteme für Echtzeitanwendungen in der Ergonomie und Mensch-Technik-Interaktion

Die Anwendung ergonomischer Analyseverfahren hilft, Gefahren und Belastungen für den Menschen zu identifizieren und zu bewerten. Damit unterstützen diese die ergonomische Gestaltung. Oft wird jedoch viel Zeit für die Analyse aufgewendet, sodass weniger Zeit für die Gestaltung bleibt. Die Forschung der Abteilung konzentriert sich auf die teilweise Automatisierung der Datenerhebung und -verarbeitung in der ergonomischen Analyse durch den Einsatz von Sensoren. Dadurch wird eine genauere und umfangreichere Datenerhebung ermöglicht, wodurch wiederum komplexere Bewertungsmodelle genutzt werden können. So kann beispielsweise die Kompressionsbelastung auf die Bandscheibe L5/S1 in Echtzeit berechnet werden, ohne dass eine aufwendige Kalibrierung nötig ist. Dies ist besonders hilfreich an Arbeitsplätzen mit manuellen Lasten.

Wissenstransfer für Arbeitsweisen und Methoden im Bereich der Ergonomie und Produkt- und Systementwicklung

Die Forschung konzentriert sich hier auf die nachhaltige Integration von ergonomischem Wissen in Arbeitsprozesse. Dies umfasst die Gestaltung von Arbeitsplätzen und die Entwicklung von Produkten, angefangen bei Grobkonzepten über die Definition von Anforderungen bis hin zur Nachweisführung und kontinuierlichen Verbesserung. Erstellt werden wirksame Konzepte und diese in Pilotprojekten getestet. Dabei sind der Anwendung des ergonomischen Wissens keine Grenzen gesetzt. Das reicht von Innovationspartnerschaften über die Entwicklung von KI-gestützten Ergonomie-Agenten bis hin zu einfachen Checklisten und Handbüchern für Unternehmen.

Infrastruktur

  • Exploroscope
  • Motion Dynamics Lab
  • Unbemannte Plattformen zur Interaktionsentwicklung
  • Rapid Prototyping Hub – Entwicklungswerkstatt und Prototypenerstellung
  • Messtechnik zur Bewertung der Ergonomie, größtenteils für den mobilen Einsatz
  • Demonstratoren für
    • die blickbasierte Klassifizierung mit unbemannten Systemen (GaBaCo) 
    • die Gestaltung von Sichtmitteln für das Fahren im Straßenverkehr mit Kamera Monitor System (MESiKa) 
    • das Führen von hochautomatisierten Konvois (EKOHOK) 
    • die Gestaltung von Augmented Reality in Landfahrzeugen der Bundeswehr und NATO (ESAR)

 

Gremien

  • NATO Applied Vehicle Technology Research Task Group (AVT-IST RTG) 398: »Development of a STANREC for Augmented Reality in Land Platforms«
  • NATO Applied Vehicle Technology Research Task Group (AVT-MSG-HFM RTG) 401: »Augmented Reality in Land Operations: Balancing Risks and Chances in Technical and Human Systems Challenges«
  • NATO Applied Vehicle Technology Research Task Group (AVT RTG) 380: »Ground Vehicle Ride Quality Testing and Analysis with Complex Terrain«
  • DIN Normenausschuss Ergonomie (NA) 023-00-01 GA »Grundsätze der Ergonomie«
  • DIN Normenausschuss Ergonomie (NA) 023-00-03 GA »Anthropometrie und Biomechanik«
  • Scientific Committee EAWS »Ergonomic Assessment Worksheet« der MTM ASSOCIATION e. V.

 

Weiterbildungen und Lehreveranstaltungen

  • RWTH Aachen University, Methoden der empirischen Arbeitswissenschaft (für Masterstudiengänge Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen) – Dozent: Dr. Christopher Brandl
  • RWTH Aachen University, Ergonomie und Mensch-Maschine-Systeme (für Masterstudiengänge Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen – Dozent: Dr. Christopher Brandl
  • RWTH International Academy und RWTH business School, Digital Work: Challenges and Solutions (für internationale Masterstudiengänge) – Dozent: Dr. Christopher Brandl
  • CCG-Seminare: Human AI Teaming & Systemergonomie für Sicherheitskritische Mensch-Maschine-Systeme

 

Strategische Kooperationen im Rahmen der Grundlagenforschung

RWTH Aachen University, Institut für Arbeitswissenschaft (IAW)

Labore

© Fraunhofer FKIE

Exploroscope

Das »Exploroscope« ist der kreative Hotspot der Systemergonomie! In diesem Labor werden modernste Technologien wie AR, VR und KI kombiniert und exploriert. Erforscht werden neue Interaktionslösungen zwischen Soldaten, (hochautomatisierten) Systemen im Rahmen der Organisationen sowie konkrete Schnittstellen zwischen Soldaten und technischem System (Plattform, Kampfraum etc.). Egal ob für Entwicklung oder Prototyping – angewandte Innovation wird im Exploroscope großgeschrieben!

© Fraunhofer FKIE

Motion Dynamics Lab

Das »Motion Dynamics Lab« der Systemergonomie ist der Ort für innovative Simulatorstudien in dynamischen Umgebungen. Hier werden Interaktionskonzepte und Schnittstellen zwischen Soldaten und technischem System in »motion« gestaltet und evaluiert. Statische Bewertungen von Soldat-Maschine-Schnittstellen, die in der Praxis in bewegten Umgebungen, wie z. B. in Fahrzeugen, eingesetzt werden, sind in bestimmten Situationen nur teilweise aussagekräftig – genau hier wird angesetzt.

© Fraunhofer FKIE

Unbemannte Plattformen zur Interaktionsentwicklung

Die Systemergonomie nutzt die Robotik als wertvolles Hilfsmittel und schafft dadurch kreative Testumgebungen, um innovative Schnittstellen für landgestützte und unbemannte Systeme zu entwickeln. Dazu wird gemeinsam mit der Abteilung »Kognitive Mobile Systeme« (CMS) das von dieser betriebene Robotik-Außengelände am Standort genutzt. So unterstützt die Robotik dabei, die Zukunft der Soldat-Maschine-Schnittstellen für landgestützte Plattformen sowie unbemannte Systeme aller Art zu gestalten!

© Fraunhofer FKIE

Rapid Prototyping Hub – Entwicklungswerkstatt und Prototypenerstellung

Die eigene Entwicklungswerkstatt erlaubt es, Ideen schnell in Prototypen umzusetzen, wodurch maßgeschneiderte Lösungen effektiv und effizient realisiert werden können. Egal, ob die Idee aus einer Skizze auf einer Serviette, einem kreativen Brainstorming oder einem bereits fortgeschrittenen Projekt hervorgeht – für jede Herausforderung wird die passende Lösung entwickelt.

GaBaCo

Der Blick eines Menschen ist die Basis unserer sozialen Kooperation. Warum nutzen wir ihn nicht auch für die Kooperation mit technischen Systemen? Unser Blick hat eine Richtung, eine Bewegung und eine Aussage. Diese Eigenschaften lassen sich als Eingabemedium für technische Systeme nutzbar machen. In der zivilen Welt ist dieser Ansatz bereits auf dem Vormarsch. Er kann jedoch genauso im militärischen Bereich eingesetzt werden.

MESiKa

Zeit, Kosten und aktuelle technologische Möglichkeiten sind die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Lösungen. Besonders deutlich zeigt sich dies im militärischen Bereich: Bis ein neues Fahrzeug im Einsatz ist, können Jahrzehnte vergehen. Um eine realistische frühzeitige Bewertung neuer Lösungen, beispielsweise für zukünftige Nachrüstungen in älteren Fahrzeugen, zu ermöglichen, wurde eine Methode entwickelt, die die Nutzer mittels Tangible XR-Technologie in die Zielprodukte eintauchen lässt.

 

ESAR

Situationsbewusstsein ist im Gefecht ein entscheidender Aspekt für das Überleben von Soldaten und Kampffahrzeugen. Augmented Reality (AR) kann dieses auf ein neues Niveau heben: Informationen, typischerweise des Gefechtsführungssystems, werden direkt in das Sichtfeld des Operateurs eingeblendet. Die Besatzung kann so die volle Aufmerksamkeit auf ihre Aufgaben richten und verfügt gleichzeitig über ein umfängliches aktuelles Lagebild.

 

Mehr Sicht in geschützten Fahrzeugen

Die Bundeswehr verfügt in ihrem Fuhrpark über zahlreiche unübersichtliche Landfahrzeuge, die hohe Anforderungen an ihre Führer stellen. Das Projekt »Sicht- und Fahrunterstützung für geschützte Fahrzeuge« (SiFaU) erforscht Konzepte zur ergonomisch validen, technischen Unterstützung der Sicht und des Fahrens dieser Fahrzeuge sowie Assistenz- und Automatisationssysteme für ihre Steuerung.

 

Automatisiertes Fahren in militärischen Konvois

Eine entscheidende Qualität teil- und hochautomatisierter Fahrzeuge ist, dass Fahrer und Automation kooperativ zusammenarbeiten und der Fahrer jederzeit und in jedem Automationsmodus die Kontrolle übernehmen kann. Das Projekt »Straßentransport mit Assistenzfunktionen von Robotern« (StrAsRob) verdeutlicht dieses Konzept am Anwendungsbeispiel des automatisierten Folgefahrens von militärischen LKWs und belegt es erfolgreich im Simulator.

 

Kooperative & hochautomatisierte Konvoiführung

Das automatisierte Fahren von LKWs in Form von automatisierten Konvois steht kurz vor der Serienentwicklung. Im Projekt »Exploration der kooperativen hochautomatisierten Konvoiführung« (EKOHOK) wurden verschiedene Systeme hinsichtlich ihrer Automatisierung getestet und verglichen. Ebenso wurde eine neue Benutzerschnittstelle zum Führen des Konvois entwickelt und zusammen mit der Bundeswehr evaluiert.