Bedrohungen im städtischen Umfeld: Innovative Aufklärungstechnologien stehen bei internationaler Übung auf dem Prüfstand

Der Ukraine-Konflikt bestätigt: Krieg findet auch im urbanen Umfeld statt. Die russischen Angriffe zielen vor allem auf die großen städtischen Zentren des Nachbarstaates. Zuverlässige technologiegestützte Aufklärung stellt hier einen wesentlichen Überlegenheitsfaktor dar. Wichtiges Hilfsmittel sind dabei Sensoren. Wie die Systeme bei der Erkennung, Klassifizierung und Lokalisierung von Schüssen und Drohnen unterstützen und wichtige Informationen zum Lagebild liefern können, daran arbeiten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE. Bei einem multinationalen Experiment in der Schweiz hatten die Wissenschaftler eine Woche lang Gelegenheit, den aktuellen Stand ihrer Forschung in einsatznahen Angriffsszenarien auf die Probe zu stellen.

© Fraunhofer FKIE
Urbane Umgebungen stellen eine besondere Herausforderung für die Erfassung, Aufklärung und Lagebilderstellung dar. Auf Einladung von armasuisse durften Forscherteams aus fünf NATO-Mitgliedsstaaten, darunter das deutsche Team des Fraunhofer FKIE, eine Woche lang Sensoren zur Erkennung von Schüssen, Explosionen sowie Drohnen und Fahrzeugen testen.
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Die unter großem Sicherheitsaufwand durchgespielten Übungsszenarien hielten realitätsnah den Einsatz unterschiedlicher Wirkmittel bereit. Für die Teams galt es, sie mithilfe der mitgebrachten Aufklärungssensoren zu erkennen, zu lokalisieren und hinsichtlich ihres Bedrohungspotenzials einzuordnen.
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Team FKIE in seinem improvisierten Lagezentrum, das es sich in einem der Gebäude der Übungsstadt »Äuli« eingerichtet hatte.

Auf Einladung des Schweizer Bundesamts für Rüstung (armasuisse) fand die Übung im Rahmen der Zusammenarbeit in der NATO-Forschungsgruppe SET-286 »Acoustic and Seismic Sensing of Threats in Urban Environments« in Walenstadt im Süden des Kantons St. Gallen statt. Neben der Schweiz, selbst zwar kein NATO-Mitglied, jedoch Teil der »Partnerschaft für den Frieden (PfP)«, und Deutschland, vertreten durch das Fraunhofer FKIE und unterstützt durch die Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition (WTD 91), zählten Forscherteams aus den NATO-Ländern USA, Frankreich, Ungarn und Tschechien zu den Teilnehmern.

Verbessertes Lagebild mithilfe von Sensoren

»Urbane Umgebungen stellen eine große Herausforderung für die Erfassung, Aufklärung und Lagebilderstellung dar«, erläutert FKIE-Forschungsgruppenleiter Dr. Marc Oispuu. »Ziel der NATO-Forschungsgruppe SET-286 ist die Entwicklung und Erprobung innovativer Technologien zur Erkennung von Gefahren in diesem Umfeld. Der Fokus ist auf akustische und seismische Sensoren gerichtet. Denn Signale, wie sie beispielsweise von Schüssen, Explosionen oder Boden- und Luftfahrzeugen ausgehen, lassen sich mithilfe dieser Sensoren auch ohne Sichtkontakt erfassen.« Die ermittelten Informationen können anschließend in eine Lagedarstellung einfließen und bieten so wichtige Entscheidungsunterstützung.

Übung unter größten Sicherheitsvorkehrungen

Die militärische Modellstadt »Äuli« auf dem Waffenplatz Walenstadt mit seinen realitätsgetreu nachgebildeten Häusern, Tankstelle und Supermarkt bot das ideale Setting für die unter größtem Organisations- und Sicherheitsaufwand durchgeführte Übung. Rund 2.000 Schüsse – abgegeben aus insgesamt acht Waffentypen, Lang- und Kurzwaffen, mit und ohne Schalldämpfer, indoor, outdoor sowie von Haus zu Haus – galt es für die Forscherteams mittels der unterschiedlichen, dazu strategisch optimal in Stellung gebrachten Sensortechnologien zu erkennen, zu klassifizieren und zu lokalisieren, ebenso wie Explosionen in Bunkern und im Außengelände, angreifende Drohnen und anrückende militärische Fahrzeuge. Die Übungsszenarien hielten realitätsnah den Einsatz unterschiedlichster Wirkmittel bereit.

Wertvoller Datensatz für die Forschung

»Es gibt für uns Forschende nur wenige Gelegenheiten wie diese«, zieht Oispuu begeistert Fazit. »3,4 Terabyte Daten haben wir mitgebracht. Ein solch großer, breitgefächerter und gut dokumentierter Datensatz ist für die Fortführung unserer Forschungsarbeit immens wertvoll und unsere eigentliche Arbeit beginnt mit ihm erst jetzt. Die Daten werden analysiert und mit denen der anderen Nationen ausgetauscht und verglichen. Der Datensatz insgesamt vergrößert sich damit noch einmal um ein Vielfaches.« Im Herbst 2024 planen Oispuu und sein Team die erarbeiteten Ergebnisse dann bei einer Messkampagne auf dem brandenburgischen Truppenübungsplatz Lehnin erneut auf den Prüfstand zu stellen.

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Hochmotiviert und dankbar für die seltene Möglichkeit der Teilnahme an einer so großen Messkampagne: FKIE-Forschungsgruppenleiter Dr. Marc Oispuu (2. v. r.) und sein Team. Rund 3,4 Terabyte an Daten haben sie mit nach Hause gebracht. Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt mit ihrer Analyse.
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Das vom Fraunhofer FKIE entwickelte Experimental-System SARA zur Peilung von Funkemittern im 2,4 GHz-ISM-Band. Zentral auf dem Gehäuse erkennbar: das Antennenarray mit seinen insgesamt acht Antennen.
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Gebannte Blicke auf die Monitore: Sind die Sensoren optimal platziert und ausgerichtet? Wie gut sind die Daten, die sie übermitteln?