Erfolgreiche Demonstratorvorstellung
Meldesystem liefert bei Havarien wichtige Informationen
Alarm in der Einsatzzentrale des Havariekommandos in Cuxhaven: Ein Großcontainerschiff meldet »Rauchentwicklung an Bord«. Das riesige, 350 mal 50 Meter messende Frachtschiff hat über und unter Deck Tausende von Containern unterschiedlichsten Inhalts geladen. Die Lage ist unklar. Was hat den Rauchherd verursacht? Droht ein Brand oder gar eine Havarie? Befinden sich Gefahrstoffe an Bord? Welche Einsatzkräfte müssen alarmiert werden? Welche Maßnahmen sind einzuleiten?
Der Vorfall, der hier geschildert wird, ist das Szenario einer Übung des Havariekommandos. Das Kommando ist eine gemeinsame Einrichtung des Bundes und der fünf Küstenländer und zuständig für das Unfallmanagement auf Nord- und Ostsee. Es ist aktuell zudem assoziierter Partner des Forschungsprojekts »NSW-Plus«, weshalb die an diesem Projekt beteiligten Partner, darunter das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE, ebenfalls zur Teilnahme eingeladen sind. Weitere Besonderheit des Trainings: Auch die Mediterranean Shipping Company (MSC), aktuell zweitgrößte Containerreederei der Welt, beteiligt sich. Der Ernstfall kann somit unter maximal realitätsnahen Bedingungen geübt werden.
Im Fokus der Stabsrahmenübung stehen die genauen Abläufe bei der Koordination und Abwicklung eines solchen Krisenfalls sowie die erforderliche Kommunikation für den Einsatz. Eingeleitet werden zunächst die wichtigsten Schritte: Alarmierung der Einsatzkräfte, Vorbereitung eines Notliegeplatzes und Auswertung der Ladungsdaten. Bei letzterer ist das Augenmerk besonders auf den Informationsaustausch zwischen der Reederei und dem Havariekommando gerichtet. Denn insbesondere auch die Informationen, welche Ladung die unmittelbar am Rauchherd befindlichen Container mit sich führen und welche Stoffe sich weiterhin in der näheren Umgebung befinden, entscheiden über die möglichen Maßnahmen. Doch ihre Beschaffung fordert kostbare Zeit.
Zwar kann das Havariekommando meldepflichtige Daten wie Kraftstoffe und Gefahrgüter bereits aus dem zentralen behördlichen Meldesystem »National Single Window (NSW)« abrufen. Die genauen Ladungsinformationen für das betroffene Schiff – und somit den Großteil der benötigten Daten – müssen jedoch zusätzlich von der Reederei angefordert werden und werden bislang in unterschiedlichen Dokumenten-Formaten per E-Mail zur Verfügung gestellt.
NSW-Plus bindet weitere maritime Stakeholder ein
Seit 2017 läuft das Forschungsprojekt NSW-Plus. Sein Ziel ist es, das bisher auf meldepflichtige Daten eingeschränkte NSW zu erweitern, sodass alle weiterhin an der maritimen Transportkette beteiligten Unternehmen und Behörden Informationen in das System einstellen und aus diesem abrufen können. Arbeitsanteil des Fraunhofer FKIE ist die Entwicklung eines Konzepts, wie die auf diese Weise zusammengeführten Daten anschließend ausgewertet, aufbereitet und möglichst intuitiv und anschaulich nutzbar gemacht werden. Da es sich um sensible Daten der Unternehmen und Behörden handelt, unterstützen die FKIE-Wissenschaftler zudem bei der Minimierung der Cyberrisiken der prototypischen Implementierung.
Ergebnis ist ein vom FKIE implementierter Demonstrator, der im Krisenfall den Einsatzkräften ad hoc die relevanten Informationen bereitstellen könnte. Dies geschieht mittels einer interaktiven Nutzeroberfläche, die Ansichten des Schiffs und seiner Ladung aus unterschiedlichen, je nach Lage erforderlich werdenden Perspektiven (von oben, Bug-/Heckseite etc.) bietet. Die Einsatzleitung kann sich so räumlich durch die Ladeflächen über und unter Deck navigieren und Informationen ziehen. Letztere können zudem situationsabhängig gefiltert und sortiert werden, sodass sie nicht nur zur Verfügung stehen, sondern direkt im System bearbeitet werden können.
Demonstrator verringert Reaktionszeiten
Die Übung in Cuxhaven wird dabei zunächst ohne Zuhilfenahme des Demonstrators durchgeführt. Dieser läuft jedoch parallel mit. Im Anschluss an die eigentliche Übung kann FKIE-Projektleiterin Anastasia Schwarze den Teilnehmern so darlegen, wie der Einsatz bei Nutzung der neuen Lösung verlaufen wäre. »Die Beschaffung und Sichtung der Ladungsdaten kann im Krisenfall mehrere Stunden dauern. Mit unserer Lösung hätten die Daten ad hoc und somit ab der ersten Lagebesprechung des Einsatzstabs zur Verfügung gestanden«, erläutert die Wissenschaftlerin, »es hätten somit deutlich schneller die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden können.«