Evaluation und Optimierung sicherheitskritischer Systeme

Die Einsatzkräfte von Militär, Polizei oder Feuerwehr werden bei der Bewältigung ihrer kritischen, manches Mal sogar lebensgefährlichen Aufgaben heute vielfach von technischen Systemen unterstützt. Entsprechend bestehen an diese Systeme höchste Ansprüche, was ihre Effektivität und Effizienz sowie ihre Sicherheit im Einsatz betrifft. Aber auch die Zufriedenheit der Anwender bei ihrer Nutzung ist ein wichtiger Faktor. Einige Unfälle haben gezeigt, dass die nutzergerechte Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle für das Erreichen dieser Gütekriterien sogar maßgeblich mitentscheidend ist. So haben beispielsweise Schiffsunfälle gezeigt, dass die Nutzung von Touchscreens in Leitständen auf hoher See ein großes Sicherheitsrisiko darstellen kann, bis hin zu Unfällen mit tödlichem Ausgang.

Im mobilen Usability-Labor »AMbER« werden Untersuchungen durchgeführt, um technische Systeme zu evaluieren und zu optimieren und damit eine Entscheidungsunterstützung für die Auswahl von Gestaltungslösungen zu bieten. Diese Untersuchungen können Usability Tests, Expertenbewertungen, Experimente, Feldstudien oder Erprobungen sein, die sowohl am FKIE als auch beim Kunden vor Ort stattfinden können. Neben klassischen Usability-Methoden werden dabei Methoden der Nutzerzustandserfassung eingesetzt. Ziel ist es, ein genaueres Bild davon zu erhalten, wie sich die Interaktion mit dem System auf den Menschen auswirkt und wie Problemzuständen ursachenbezogen entgegengewirkt werden kann. Als Grundlage hierfür dient die multifaktorielle Nutzerzustandsdiagnose RASMUS, die eine ganzheitliche Betrachtung des Nutzerzustands vorsieht.

Usability-Labor & Human Factors Analysis Platform »AMbER«

© Fraunhofer FKIE

Ziel des Usability Labs »AMbER« ist es, komplexe sicherheitskritische Systeme zu evaluieren und zu optimieren. Beispiele hierfür sind Interaktionskonzepte für Luft-, Wasser- und Landfahrzeuge, Konsolenarbeitsplätze, Leitstellen, Nachtsichtgeräte sowie VR/AR-Arbeitsaufgaben. Neben der Evaluation derzeit bereits genutzter Interaktionskonzepte liegt ein weiterer Fokus auf der Untersuchung alternativer Interaktionskonzepte, wie zum Beispiel Natural User Interfaces (NUIs), zum Test ihrer Einsatzfähigkeit und Sicherheit.

Hierbei wird ein domänenübergreifender Arbeitsansatz gewählt. Dies ist zwar herausfordernd, bietet andererseits jedoch die Möglichkeit, Erfahrungen und Wissen zu übertragen und die Evaluationen somit effizienter zu gestalten.

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Im Usability-Labor »AMbER« werden komplexe sicherheitskritische Systeme wie zum Beipsiel Führungssysteme ganzheitlich evaluiert.

Die Human-Factors-Analyseplattform »AMbER« wird zur Evaluation und Optimierung von Mensch-Maschine-Systemen entwickelt. Verschiedene objektive und subjektive Evaluationsmethoden werden in der Plattform zusammengeführt, um so ganzheitliche Analysen von Interaktionsschnittstellen durchzuführen.

Eine Besonderheit ist die multifaktorielle Erfassung mentaler und physiologischer Nutzerzustände, zum Beispiel der mentalen Beanspruchung oder der Aufmerksamkeit, durch die mögliche Ursachen für Usability-Probleme identifiziert werden können. Unter anderem wird eine Bewertung mentaler Zustände sowie eine Teilautomatisierung von Analyseschritten im Bereich von Gebrauchstauglichkeitsprüfungen (Usability Tests) sukzessive ergänzt, um so zu schnelleren Entscheidungen bei Gestaltungsprozessen, Erprobungen und Beschaffungsvorhaben zu gelangen.

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Die drucksensitive Maus wird zur Messung von kognitiver Beanspruchung genutzt. Ein stärkerer Druck auf die Maustasten während des Klickens kann ein Hinweis darauf sein, dass eine höhere kognitive Beanspruchung vorliegt.
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Mit einem Sensor im Ohr können Daten zum physiologischen Nutzerzustand erhoben werden. Herzrate und Herzratenvariabilität können beispielsweise Rückschlüsse auf die kognitive Beanspruchung zulassen.
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Ein Brustgurt kann neben der Herzrate und Herzratenvariabilität auch die Atmung sowie den Neigungswinkel des Oberkörpers messen. Diese Messungen können zur Bestimmung des Nutzerzustands genutzt werden.

Im Usability-Labor »AMbER« finden Evaluationen derzeit noch überwiegend mit einer Vielzahl an Tools verschiedener Hersteller statt. Dies führt zu einem erhöhten Aufwand bei der Datensynchronisation sowie unter Umständen auch zu Inkompatibilitäten. Für die wunschgemäße Durchführung von Studien müssen Funktionen zudem oftmals nachträglich implementiert werden. Um Evaluationen künftig kostengünstiger und effizienter durchführen zu können, soll die Human Factors Analysis Platform »AMbER« sukzessive mithilfe von Eigenentwicklungen ausgebaut werden.  

Auf diese Weise entsteht eine Analyseplattform, die sicherheitskritische komplexe Mensch-Maschine-Systeme von der Versuchsplanung und -durchführung bis hin zur Datenanalyse evaluiert. Derzeit liegt der Entwicklungsschwerpunkt auf Usability-Tests. In den nächsten Ausbaustufen werden weitere Funktionen und Anwendungsszenarien implementiert. Ein Schwerpunkt der Erweiterungen von »AMbER« liegt auf der Nutzung von künstlicher Design-Assistenz. Machine learning-Ansätze bieten hier Chancen, teilautomatisiert Verhaltensmuster und Nutzungsverhalten zu klassifizieren. Diese können wiederum Rückschlüsse auf die Qualität eines Interaktionskonzepts bieten, um so Optimierungen bei der Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen empfehlen zu können.  

Es ist zudem notwendig, die Gebrauchstauglichkeit (Usability/User Experience) eines Mensch-Maschine-Systems über den gesamten Produktlebenszyklus zu betrachten. Für die Erfüllung der Anforderungen an sicherheitskritische Systeme müssen daher viele Entscheidungen getroffen werden. Die Analyseplattform »AMbER« soll hierbei wichtige Entscheidungsunterstützung leisten.

Schwarz, J., (2019). Multifaktorielle Echtzeitdiagnose des Nutzerzustands in adaptiver Mensch-Maschine-Interaktion. http://dx.doi.org/10.17877/DE290R-20269

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Witte, T. E. F., Haase, H., and Schwarz, J. (2021). Measuring cognitive load for adaptive instructional systems by using a pressure sensitive computer mouse. In International Conference on Human-Computer Interaction (pp. 209-218). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-030-77873-6_15