Interoperabilitätsstandard für militärische Fahrzeuge

Das Ausgangsszenario ist ein Ereignis, das zwischenzeitlich im Angesicht des Kriegs in der Ukraine bittere Realität werden kann: Die Streitkräfte der NATO-Staaten – etwa die 2015 für diesen Ernstfall aufgestellte Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) – müssen einem Bündnispartner beistehen. Soldaten verschiedener Nationen sind Seite an Seite im Einsatz. Sie tauschen Informationen aus und auch die Fahrzeuge sowie die darin verbauten Subsysteme sind in den Informationsverbund integriert. Die Voraussetzung hierfür ist die Interoperabilität der Systeme. Diese wird jedoch erst durch Standardisierung möglich. Sie stellt sicher, dass alle Einzelteile »miteinander sprechen« können. Einer dieser Standards wird gemeinsam mit multinationalen Partnern am Fraunhofer FKIE erarbeitet. 

NATO Generic Vehicle Architecture - NGVA

Heutige militärische Landfahrzeuge sind mit verschiedenen Subsystemen ausgestattet. Diese stammen häufig von unterschiedlichen Zulieferern. Zudem kommunizieren – wie im geschilderten Beispiel – mitunter Systeme unterschiedlicher Nationen miteinander. Um alle in den Informationsverbund zu integrieren, müssen sie über die herstellerspezifische Schnittstelle angeschlossen werden. Dies erschwert Änderungen und Erweiterungen der Fahrzeugausstattung. Um jedoch herstellerübergreifend Interoperabilität zu gewährleisten, ist es notwendig, diese Schnittstellen durch Standards zu vereinheitlichen.

Seit 2011 entwickelt Fraunhofer FKIE daher gemeinsam mit Partnern den Standard NATO Generic Vehicle Architecture, kurz NGVA. Er spezifiziert insbesondere die Auslegung der elektronischen und elektrischen Schnittstellen für Landfahrzeuge und ihre Subsysteme. Die Entwicklung erfolgt in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) 41.

»Standardisierung beinhaltet viel Gremienarbeit, im Falle von NATO-Standards natürlich auf internationaler Ebene«, beschreibt Projektleiter Dr. Daniel Ota den Lösungsweg bei der Erarbeitung von NGVA. Er selbst leitet hierfür u. a. drei internationale NGVA-Arbeitsgruppen. »Wir arbeiten dabei eng mit Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien zusammen, aber auch mit Nicht-NATO-Nationen wie Australien und Israel«, so Ota.

Der Standard spezifiziert Anforderungen an die Stromversorgung einerseits und an den elektronischen Datenaustausch andererseits. Teil dessen ist ein einheitliches Datenmodell, das die Syntax und Semantik der Nachrichten beschreibt und damit einen standardisierten Informationsaustausch erlaubt. Ein weiterer Aspekt ist die Betriebssicherheit (Safety) von Fahrzeugen.

Schließlich beinhaltet der Standard auch ein Verifikationsverfahren. Es legt eine generische Methodik fest, wie überprüft werden kann, ob einzelne Subsysteme und auch das Gesamtsystem dem Standard entsprechen.

Aktuell befindet sich die zweite Version des Standards in der Ratifizierung bei der NATO. Sie ist ein Update sowie eine Erweiterung der ersten Version, die im Februar 2018 ratifiziert wurde. Zukünftig werden hierbei auch Aspekte wie Cyber Security eine größere Rolle spielen.

Das Fraunhofer FKIE betreibt zudem ein Testlabor, in dem der Standard implementiert ist. In diesem Labor können NGVA-Fahrzeuge und ihre Subsysteme simuliert werden. Es bietet auch die Möglichkeit, weitere Hard- und Software einzubinden. Überprüft werden der korrekte Nachrichtenaustausch und das resultierende Verhalten der Komponenten auf Basis des NGVA-Datenmodells. Hersteller von Subsystemen können im FKIE-Labor testen lassen, ob ihre Systeme auch tatsächlich interoperabel und NGVA-ready sind. Eine zweite Version dieses Testlabors ist bei der WTD 41 installiert, sodass die dortige Prüfstelle diese Tests ebenfalls durchführen kann.

»Spannend wird es, wenn das erste Fahrzeug in Betrieb genommen wird, das ab der ersten Designphase auf dem NGVA-Standard aufbaut«, so Ota. Aktuell befinden sich entsprechende Fahrzeuge in mehreren Ländern in der Beschaffung. Funktioniert alles perfekt, wird der Mehrwert für den Beschaffungsprozess und bei der zukünftigen Kampfwertsteigerung hoch sein.